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glanz und gloria

Weser Renaissance

„Hier zog schon alles durch, auch Varus, allerdings in seinen Untergang.“ Klaus Kroitzsch sprüht vor Begeisterung. Es ist unmöglich, ihm nicht zuzuhören, wenn er vor dem Bückeburger Schloss Wissen und Witz kombiniert und dabei versunkene Geschichte ganz nah bringt. Er jongliert mit Zahlen und Ereignissen, sprintet dabei durch die Jahrhunderte und lässt seine Zuhörer selbst im Stehen außer Atem geraten. Im Weserbergland verstecken sich Architektur- und Kulturschätze, mit deren Entdeckung rasch ein Wochenende randvoll gepackt werden kann, nur um zu sehen, dass dies auf keinen Fall ausreicht.

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Wer in die „Weserrenaissance“ eintauchen möchte, könnte etwa in Bückeburg Quartier beziehen. Dort braucht Kroitzsch nicht lange, um flapsig aber anschaulich die Begeisterung für erste Highlights wachzurufen. Er zeigt zum grellgelben Schlossturm hinauf, an dem zu jeder Seite ein langer Gebäudeflügel das Idealbild einer Residenz komplettiert. „Der hier hat volle 700 Jahre auf dem Buckel. Die Kavaliershäuser gegenüber sind natürlich jüngeren Datums. In einem wohnte bis vor kurzem noch die verstorbene Mutter des Fürsten.“ Der Fürst, der selbst links vom Turm wohnt, ist Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe, ein Kunstsammler und Musikliebhaber, der sein Prachthaus auch für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung stellt. Die letzten Zelte der Bückeburger Landpartie werden auf dem Vorplatz und im Park gerade abgebaut. Für die „Ährensache“, den Landmarkt am ersten Septemberwochenende, wird bereits geworben.

Die Maisonne lässt die Farben von Park und Schloss aufleuchten: Draußen komplett eidottergelb, sind Fenster und Fachwerk der Renaissancefassaden im Innenhof ochsenblutrot verziert. „Man sieht gleich, die haben Italien gesehen, ein Schuss Romantik, so müssen Schlösser aussehen“, schwärmt Kroitzsch und zeigt auf Giebelhäuser und Treppenturm. Dann öffnet er die Tür zur Schlosskapelle. „Das hier ist im Norden schon ein Leckerbissen.“ Selbst bei dem gedämpften Licht sind die Augen von den Ornamenten und Verzierungen überfordert. „Manierismus heißt dieser seltsame Stil, der Übergang von der Renaissance zum Barock. Nicht wahr, da muss man lange suchen, bis man Ähnliches findet.“ Einzelne Fliesen auf dem Boden vor dem Altartisch sind mit kleinen Kreuzen verziert: In diesen „Herzgräbern“ wurden von 1799 bis 1921 die Herzen der fürstlichen Familie beigesetzt. Bis heute feiert die evangelisch reformierte Kirchengemeinde von Bückeburg in der Schlosskapelle ihren Sonntagsgottesdienst, der Adel nimmt hoch oben in der Loge Platz. Da die Reformierten eigentlich schmucklose, spartanische Kapellen bevorzugten, erzählt Kroitsch, hatte man die Fresken um 1640 weiß übergestrichen und erst im Zuge der Renovierung 1886 wieder freigelegt.

In den hundert Jahren vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 wurden im Weserraum nicht nur einzelne Renaissanceschlösser errichtet, sondern ganze Stadtbilder von der Renaissance geprägt. Drinnen im Schloss Bückeburg mit seinem Großen, Gelben, Weißen und Gobelinsaal ist es vor allem der Goldene Saal und seine Götterpforte, die mit ihrem Glanz überwältigen: In Holz geschnitzte Mythen, verdrehte, mit Gold überzogene Figuren, ineinander verschraubt und voller Symbolik.

Natürlich hält Kroitzsch noch ein Kuriosum bereit, was eigentlich auf den Führungen nicht gezeigt wird. Da Prinzessin Viktoria von Preußen, die Schwester Kaiser Wilhelms, 1890 den Prinzen Adolf zu Schaumburg-Lippe heiratete, kam auch der Kaiser zu Besuch. Eigens für diesen Anlass ließ man im Schloss ein neues Bad mit erhöhter Toilette einbauen. Nach dem Öffnen einer gänzlich unspektakulären Flurtür: „Das sind alles noch Originalarmaturen.“ Sonst sei die Prinzessin vom damals fehlenden Luxus wenig begeistert gewesen. „Holt mich hier raus“, soll sie des Öfteren in Briefen gefleht haben.

Bis ins Jahr 1100 reicht der Stammbaum des Hauses Schaumburg-Lippe zurück. Graf Adolf I. erhielt damals vom sächsischen Herzog Lothar von Süpplingenburg als Lehen die Grafschaften Holstein und Stormarn, zu denen auch Hamburg gehörte. Nicht ganz uneigennützig: Er sollte die Dänen unter Kontrolle bekommen. Seither führen die Schaumburger und Holstein das Nesselblatt in ihrem Wappen. Lübeck, Kiel, und Pinneberg wurden von den Schaumburger Grafen gegründet, Hamburg weiter ausgebaut. Eine Statue von Graf Adolf III. steht heute noch zum Dank auf der Trostbrücke. 1227 besiegte eine norddeutsche Fürstenkoalition mit Beteiligung Hamburger Bürger die Dänen in der Schlacht bei Bornhöved. Unter Graf Adolf VI., der den Hamburger Bürgern ihre Freiheitsrechte verkaufte, entstand zwischen den Elbmarschen im Westen und der Alster im Osten die Grafschaft Holstein-Schauenburg, die sich als kleiner, nahezu souveräner Staat, relativ unbehelligt fast 300 Jahre entwickeln konnte.

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Zurück in die Gegenwart. Wir gehen durch den Bückeburger Schlosspark zum Mausoleum, wo die Mitglieder der Adelsfamilie seit 1916 beigesetzt werden. Hinter einer frisch gemähten Wiese taucht eine gigantische 43 Meter hohe grüne Kuppel auf: „Das drittgrößte Privat-Mausoleum der Welt, nach Taj Mahal und dem Franco-Mausoleum“, erzählt Kroitsch und zeigt auf die umstehenden Bäume. „Hier werden sie auch gleich richtig eingestimmt: Trauerweiden, Blutbuchen...“. Doch die Stimmung hellt sich schnell auf. Drinnen strahlt in 25 Metern Höhe die größte Goldmosaikkuppel Europas auf einer Fläche von 500 Quadratmetern.

Auf dem Rückweg kommen wir noch an so vielem vorbei, das sehenswert ist: an der Fürstlichen Hofreitschule, der einzigen in Deutschland, an Manierismus-Skulpturen des niederländischen Bildhauers Adriaen des Vries, der auf Bronzeskulpturen spezialisiert war. Nebenbei geht’s im Gleichschritt durch etwas Militärgeschichte: 1759 Schlacht von Minden, grob gesagt: die Engländer, mit dem Schaumburger Graf Wilhelm, gegen die Franzosen. „Danach stieg England zur Weltmacht auf. Der heutige Fürst steht etwa an 360. Stelle in der englischen Thronfolge. Aber da müsste dort wohl schon eine Epidemie ausbrechen, bevor er Anspruch hätte.“ Und wir streifen durch barocke Gartenkunst. „Gärten waren im Barock Zimmer im Freien“, erzählt Kroitsch. Leider sind die alten Sichtachsen ins Weserbergland inzwischen zugewachsen. Also heißt es: selbst ins Umland aufbrechen.

Nachdem Fürst Ernst 1606 seine Residenz von Stadthagen nach Bückeburg verlegt hatte, erlebte die Grafschaft ihren kulturellen Höhepunkt. Zum Ausbau der Stadt gehört auch die Stadtkirche, das erste bedeutende Kirchenbauwerk des frühen Protestantismus in Deutschland. Der Fürst wollte mit dem Bau ein Exempel bieten, die reformierte Kirche war auf dem Vormarsch. Über der Fassade ließ er die Inschrift EXEMPLUM RELIGIONIS NON STRUCTURAE - ein Denkmal der Frömmigkeit - nicht der Baukunst - anbringen, die auch als Akronym seine Inizialen bilden.

Wer nur ein Wochenende Zeit mitbringt, hat nun die Qual der Wahl: Einige Kilometer weiter ist es einer couragierten Frau zu verdanken, dass das schönste Schloss der Weserrenaissance nicht zerstört wurde. Schlossherrin Anna von Holle fuhr im Dreißigjährigen Krieg den anrückenden Truppen unter General Tilly entgegen und handelte mit ihm einen Schutzvertrag aus, der es seinen Soldaten unter Androhung der Todesstrafe verbot, Hämelschenburg zu betreten. Sie rettete so die gesamte Anlage vor Plünderung und Zerstörung. Heute ist das Schloss als privates Museum teilweise zugänglich und enthält eine vollständig erhaltene Ausstattung von Möbeln, Gemälden, Porzellan, Gläsern und Waffen aus der Renaissance-, Barock- und Gründerzeit.

Oder lieber ein Abstecher nach Stadthagen. Hier wird rasch klar, dass der Brauch mit dem Mausoleum nicht ganz neu ist. Am Chor der Stadthagener St.-Martinikirche ließ Fürst Ernst bereits 1609 nach italienischen Vorbildern ein Mausoleum errichten – mit einer monumentalen Auferstehungsplastik des bereits bekannten Adriaen de Vries. Dem örtlichen „Renaissance-Verein“ ist es zu verdanken, dass das Bauwerk frisch renoviert wieder zugänglich ist. Inzwischen gilt es als Kulturdenkmal von europäischem Rang. „Um das Mausoleum zu beenden, verkaufte die Fürstenwitwe Hedwig von Hessen Pinneberg an die Dänen“, erzählt Stadtführerin Christina Bühre, stilecht in Renaissancegarderobe mit zeitgenössischem Käppi gekleidet.  

Auf dem Weg zum Stadthagener Stadtschloss geht es an einem Kreisverkehr vorbei, in dessen Mitte eine nadelförmige Skulptur in den Himmel ragt. Wer genauer hinschaut, wird auf der einen Seite ein Sonnen-, auf der anderen ein Mondgesicht erkennen, das Planetenpaar, das in der Renaissance als untrennbar verbunden verstanden wurde. Auch ein Symbol: Im Land der Weserrenaissance lohnt es sich, genauer hinzuschauen.


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