Planet der blumenkinder
Oregons Country Fair
Die Farben des Regenbogens leuchten, gebatikt auf Hemden und Hosen, dazu Blumen in allen Variationen, ins Haar gesteckt, auf den Körper gemalt oder unter die Haut tätowiert. Die heiße Julisonne hat den Waldboden ausgetrocknet. Wo die East 13th Street nicht mit der Gießkanne gewässert wurde, wirbeln tanzende Füße Staubwolken auf. Eine kunterbunte Parade spaziert mit Trompeten, Trommeln und Tschingbum vorbei. In der Luft hängt der Duft von welkem Gras und frisch Gegrilltem. Während die Blasmusik verklingt, fiedelt eine Combo neben schlanken Ahornstämmen leichten Swing. Im Wald von Veneta feiert Oregon seine alljährliche Country Fair.
„Make love, not war“ hieß vor fast 50 Jahren das bis heute verlockende Motto der ersten Hippies an der amerikanischen Westküste. Nicht weit von Eugene hat der „Sommer der Liebe“ mit seinen bunten Bilder zwischen knorrigen Baumstämmen überlebt. Jedes Jahr wieder konzentriert sich hier ein Wochenende lang das Karma eines anderen Amerika. Dann zelebrieren auch einige der Drop-outs von damals mit ergrauten Haaren und gereiften Idealen in Gesellschaft ihrer Kinder und Enkel eine nie verloren gegangene Sehnsucht nach einer besseren Welt. Was bei ihnen mit Aussteigen und Konsumverzicht begann, beschäftigt heute längst den ganzen Globus: ökologisches Wohnen, organische Lebensmittel, alternative Energie, Sorge um den Planeten und liberaler Sex.
Gut fünfzigtausend Besucher wollen die Mischung aus Party und pädagogischer Botschaft drei Tage lang erleben. Schrille Farben springen ins Auge, schrille Töne ins Ohr. Ein Roadmovie, in dem sich ausnahmslos jeder freut. Diese Stimmung reißt nicht ab, während der Zubringer-Bus langsam an Zelten und, ja tatsächlich, alten VW-Bussen vorbei auf das Festivalgelände rollt. Kusshände fliegen durchs Fenster und werden draußen durch Luftsprünge, Winken und scherzhafte Verbeugungen erwidert. Alle Gesten der bunt kostümierten Passanten drücken aus, was auf dem Schild am Eingang steht: „Welcome home, Fair family.“
Die Familie ist groß: Siebentausend freiwillige Helfer erwarten ihre Gäste. Man engagiert sich für die Gemeinschaft. „Community spirit“ heißt das in Eugene, jener Stadt in Oregon, die einst als Hochburg der Hippie-Bewegung bekannt wurde. Was in den Wohngemeinschaften von San Franciscos Haight-Ashbury begann, hat in Eugene durch kommunales Engagement als soziales Non-Profit-Experiment überdauert. Zwar reicht die Wahrnehmung des Events von Akzeptanz bis Ablehnung, von Ignoranz bis Neugier. Doch die Idee trug Früchte. „Wir verstehen uns nicht als Konsumenten, sondern als Kreative, die gemeinsam Erfahrung und Selbsterfahrung vermitteln wollen“, meint Charles, einer der Helfer. Die Atmosphäre, die jedes Jahr zwischen Organisatoren, Besuchern und Künstlern entstehe, habe einfach etwas Magisches.
Wie eine Acht schlängeln sich die Wege zwischen Bäumen und Wiesen durch die kleine Stadt im Wald. Siebenhundert Stände verkaufen Kleinkunst, siebzig sorgen für gesundes Essen. „Unsere East 13th Street ist mehrere tausend Jahre alt“, sagt Charles. „Kann man nicht von vielen Straßen in Amerika behaupten.“ Der Ort des Festivals sei schon für die Indianer vom Kalapuya-Stamm ein Treffpunkt gewesen, was archäologische Ausgrabungen bestätigt hätten. Zum Glück. Durch diese Entdeckung blieb das Gelände erhalten. Der bereits geplante Highway musste verlegt werden.
Das Programm läuft täglich zwischen elf Uhr morgens und halb sieben abends. Namen wie „Gypsy Caravan“, „Daredevil Vaudeville Palace“ oder „Spirit Tower“ benennen in etwa, was zu erwarten ist: Erst Bauchtanz, dann Jonglierkunst und schließlich „Poetik für’s Volk“. Der Wunsch, alles zu erleben, kann die Sinne rasch überfordern. Gerade wird noch mit viereckigen Seifenblasen hantiert, erklingt einige Büsche weiter mehrstimmiger Folkgesang, gedoppelt vom Echo der Zuhörer.
Auch die Augen haben zu tun, schillernde Feenflügel sind angesagt. Überhaupt: Je schriller das Outfit, desto größer die Chance auf dieser Bühne der Paradiesvögel überhaupt wahrgenommen zu werden. Wer ganz sicher sein will, latscht auf Stelzen oder gleich nackt durch die Menge. Drei junge Mädchen haben ihre Busen mit Blumen bemalt und posieren vor blitzenden Digitalkameras. „Für das religiöse Amerika ist das hier ohnehin alles Teufelswerk“, meint Saphir, eine der Teenager. Wem der ganze Rummel auf die Nerven geht, flüchtet in die abseits gelegene öffentlich Sauna oder zieht sich zum Meditieren in ein Gebetshäuschen zurück.
Trance im Drum Tower. Auf ihren mitgebrachten Instrumenten treiben immer neue Musiker sich und zweihundert Tänzer in Ekstase. Atemlos zucken verschwitzte Körper durcheinander. Lässt sich für diese Mixtur aus ungebremster Lebenslust, Spiritualität und Sehnsucht nach heiler Welt überhaupt ein programmatischer Name finden? Die Country Fair braucht mehr, um sich zu beschreiben. „Ereignisse und Erfahrungen schaffen, die den Geist nähren, das Leben auf Erden kunstvoll und authentisch entdecken und Kultur auf magische, freudige und gesunde Weise transformieren“, leuchtet es in blauen Lettern den Besuchern entgegen.
Das hatte auch Ken Kesey versucht und sich nach einem Leben zwischen LSD und Literatur auf seine Farm in Eugene zurückgezogen. Zuvor war er mit seinen „Merry Pranksters“, einer Gruppe aus Künstlern und Clowns, aus denen die Band „Grateful Dead“ hervorging, in einem Bus kreuz und quer durch die Staaten gereist. Dem Autor von „Einer flog über das Kuckucksnest“ setzte die Stadt in ihrer Fußgängerzone ein Denkmal.
Der Magen knurrt. Sheilagh’s Gourmet-Stand oder das Holy Cow Village Restaurant? Es warten Tofu, Pasta und Reis mit Erdnuss-Ingwer-Sauce, dazu gibt es Zitronenlimonade, Hibiskustee oder Organic Gourmet Coffee. Alkohol ist nicht erlaubt.
Im Community Village, Marktplatz und ruhige Oase des Festivals, wird miteinander geredet. Kaum eine Frage nach natürlicher Geburt, heilender Massage oder vegetarischen Rezepten bleibt unbeantwortet. Auch mit Lob über die Country Fair wird nicht gespart.
“Ich bin hier, weil ich hier sein möchte. Die Energie ist enorm. Keine Hierarchien, keine Egos, dafür bietet es eine Plattform für persönliche Kreativität“, meint Doug. Er produziert Shows und sorgt hinter den Bühnen des Festivals für reibungslose Abläufe. „Ich vertraue diesem Ort mehr als jedem Sanatorium.“ Doch einige Veteranen der frühen Jahre bedauern schleichende Veränderungen. Carmel ist vierundfünfzig und war vor drei Jahren zuletzt da. „Es wird immer mehr zum Mainstream-Ereignis. Früher sind wir in den Bach gesprungen, um mit den Fischen zu schwimmen, heute kommen mehr Menschen, die zuschauen wollen, statt teilzunehmen.“
Clintron ist achtundfünfzig und war vor zweiundzwanzig Jahren erstmals dabei. „Es gibt andere Festivals, Burning Man in Nevada etwa, aber dieses ist bis heute einfach nicht vergleichbar. Ich habe damals sogar meine Kinder mitgenommen, damit sie von der friedlichen Atmosphäre und den Leuten auf der Fair etwas lernen konnten. Inzwischen werden es leider immer weniger Kinder. Der große Unterschied zu damals? Ich brauchte nicht so vielen beim Telefonieren zuzuhören.“
Einige dieser Telefone landen bei Larry in einer Holzkiste. Nicht weit vom Ausgang sitzt er im Fundbüro. Auch Kameras, Kredit-karten, Brillen und Brieftaschen trudeln bei ihm ein. „Wir werden versuchen, alle Besitzer ausfindig zu machen. Damit haben wir noch einige Wochen zu tun.“ Dann werden die Stände längst abgebaut sein. Im Winter wird der Long Tom River, wie jedes Jahr, über die Ufer treten und das Gelände unter Wasser setzen. Aber im Sommer wird die Sonne, wie jedes Jahr, den Waldboden wieder ausgetrocknet haben. Vom 08. bis zum 10. Juli 2016wird die Stadt neu entstehen und sich auf ihr siebenundvierzigstes Jubiläum freuen.