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Wandern mit Wordsworth

Auf den Spuren des Dichters William Wordsworth lässt sich im Lake District zwischen Seen und Bergen ein versunkenes England entdecken

Englands romantischer Poet William Wordsworth brauchte seine tägliche Dosis Fußmärsche. Egal bei welchem Wetter, das Eintauchen in die Natur setzte in ihm kreative Prozesse in Gang. Später dann kehrte der Rhythmus des Gehens im Rhythmus seiner Gedichte wieder. „I wander'd lonely as a cloud“, beginnt „Daffodils“, sein wohl berühmtestes. In Englands Lake District lebte er zunächst vierzehn Jahre im Dove Cottage, etwas außerhalb von Grasmere, für ihn der schönste Ort, den man auf Erden finden könne.

Da möchte man glatt nachschauen, was ihn so begeisterte. Schon wenige Tage reichen, um nach einigen Streifzügen durch die Landschaft zu bekennen: Wunderbar! Auch beim Dichter hinterließ die Begegnung mit den Cumbrian Mountains, die einen Großteil dieser Berg- und Seenlandschaft ausmachen, Eindruck: „Sich übereinander türmend oder als Bergkämme aufsteigend, wie Wellen einer stürmischen See, sind sie in der Schönheit und Vielfalt ihrer Gestalt und Farben unerreicht.“

Eine Landschaft aus Bergen und Seen

Eine Landschaft aus Bergen und Seen

Doch damit nicht genug. Neben romantischer Natur bietet der Lake District das Empire des 18. und 19. Jahrhunderts als Zugabe. In den engen Tälern, zwischen kahlen Bergen und schillernden Seen, wurde das England jener Epoche ein Stück weit konserviert. Zweitausend denkmalgeschützte Gebäude, zwei Dutzend Conservation Areas, neun registrierte Parks und Gärten und der Westteil des Hadrianwalls, gehören zu diesem Nordwestzipfel des Königreichs, der jüngst zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

Kehren wir zunächst ein, ins Dove Cottage in Grasmere. Steinfußboden, dunkel getäfelte Räume, eine schlichte Küche, eine kühle Speisekammer, etwas persönlicher Besitz, ein Feuer brennt im Kamin. Es scheint, als sei der Dichter gerade spazieren gegangen. „Während Wordsworth hier mit seiner Schwester Dorothy wohnte, 1799 bis 1808, hat sich England sehr verändert“, erzählt Hazel Clarke vom Wordsworth Trust. Dank der Industrialisierung wuchs draußen im Land der Reichtum für wenige, aber auch die Armut für viele. Inspiriert durch die unberührte Natur habe Wordsworth mit seiner neuen Poesie auch die einfachen Menschen, die in und mit dieser Natur ihr Auskommen suchten, porträtiert.

Früh formulierte er die Idee eines Nationalparks: Zu staatlichem Besitz solle der Lake District gemacht werden, wo jeder, der ein Auge zum Schauen und ein Herz zum Freuen habe, das gleiche Recht genieße. 1820 verfasste er dann den ersten Reiseführer der Region, obwohl er gerade ihre Abgeschiedenheit bewahren wollte. Heute ist der Lake District National Park Großbritanniens beliebtester.

Im ersten Stock des Dove Cottage steht Wordsworths winziger zerfledderter Reisekoffer. Für Ausflüge enthielt er einen Schreibstift und ein Notizbuch, einen Mantel und ein Sandwich. Auf diesen Wanderungen ist er bestimmt auch schon auf den Coffin Trail eingebogen. Der beginnt nicht weit vom Wohnhaus, windet sich bis zur halben Höhe den Hang hinauf und führt dann, hoch über dem Lake Rydal Water, nach Rydal Mount, dem Haus, in dem Wordsworth von 1813 bis zu seinem Tod 1850 gelebt hat.

Schon bei den ersten eigenen Schritten bergauf stellt sich heraus: Der Name „Coffin Trail“ scheint maßlos übertrieben. Es ist ein leichter Weg, der keine Herzattacken erwarten lässt. Den Namen trägt er aus anderen Gründen. Früher wurden auf dieser Route die Verstorbenen aus Rydal und Ambleside in ihren Särgen zur Beisetzung auf den Friedhof der St. Oswald’s Church nach Grasmere getragen. Unterwegs zeigt ein Resting Stone an, wo die Träger ihre schwere Last absetzten, um einen Moment lang auszuruhen.

Sicher sind auch sie schon an den moosbewachsenen Steinmauern vorbei gegangen, die in dem Gelände immer wieder als Weg- und Grundstücksabgrenzung dienen. Große Farnflächen zeigen an, dass hier auch mit Regen zu rechnen ist. Trotz des sonnigen Herbstwetters weht über die Hänge der anderen Talseite milchiger Dunst. Auf den sattgrünen Wiesen, die sich bis in felsigere Regionen aufwärts ziehen, bewegen sich kleine, helle Punkte. In fast jedem Tal des Lake Districts stapfen unzählige Schafe durch üppiges Weideland.

Für den eigenen Hunger warten in Rydal Mount, dem Alterssitz des Dichters, Tea und frisch gebackene Scones, dazu wird dickflüssige Cream und süße Marmelade gereicht. Auch vier Morgen Gartenlandschaft sind zwischen Haus und See angerichtet, teils vom Dichter in Terrassen angelegt und seither fast unverändert. Im Tea Room fällt beim Biss ins Gebäck auf, dass eine Lehne von Wordsworth Ledersofa stark abgenutzt ist. Da habe William immer seine Füße drauf gelegt, heißt es. Ja, auch er musste sich von seinen Ausflügen mal erholen.

Rydal Mount

Rydal Mount

Es sei nicht verschwiegen: der Lake District ist nicht immer vom Wetter verwöhnt. Doch er bietet stets die Wahl zwischen Drinnen und Draußen. Sollte der englische Regen mal vom Wandern abraten, lohnt ein Blick in eins der vielen Herrenhäuser, in denen ein längst versunkenes England überlebt hat.

Eine besonders gelungene Zeitreise gewährt das Mirehouse nahe Keswick. Auch wenn der Union Jack schlapp am Fahnenmast hängt, entführt das 1688 gebaute Haus in glorreiche Zeiten des Empire, in das die Upper Class über Jahrhunderte eingewoben war und ist. „Es lohnt sich, die Geschichte lebendig zu halten“, begrüßt Eigentümerin Clare Spedding. Sie wirkt wie eine schlichtere Ausgabe der Queen, während sie auf Deutsch langsam aus ihrem Leben erzählt.

„Der Ur-, Ur-, Ur-Großvater meines Mannes, John Spedding, saß mit William Wordsworth in der Hawkshead Grammar School zusammen auf der Schulbank.“ Zahlreiche Briefe, Bücher und Bilder in einem der vierzig Räume, in denen sechs Personen leben, belegen diese nachhaltige Bekanntschaft.

Geschichte lebendig halten bedeutet auch, zwischen den Kostbarkeiten in der Bibliothek das erste Englische Wörterbuch von Dr. Johnson auszustellen. Und eine Afrika-Karte aus dem Jahr 1811, mit vielen weißen Flecken auf dem größtenteils noch unbekannten Kontinent. Dazu gehören filigrane viktorianische Riechfläschchen, die Frauen in zu engen Korsetts aus ihrer Ohnmacht holten, und Familienportraits von Offizieren, die 1878 im Zweiten Anglo-Afghanischen Krieg Befehle erteilten.

Ein Blick durch die große Fensterfront schafft Gewissheit: Wer sich so ein Herrenhaus leisten konnte, setzte es natürlich in besonders schöne Landschaft. Zur weiteren Veredlung wurde rundherum gleich noch ein Park angelegt. Es wundert auch nicht, dass der nächste See bereits in Sichtweite glitzert.

Der Schutz dieser Natur war nicht nur Wordsworth ein Anliegen. Doch was bei ihm noch romantisches Ideal blieb, brachte einige Jahrzehnte nach ihm die Kinderbuchautorin Beatrix Potter dann richtig in Gang. Sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern des National Trust (for Places of Historic Interest or Natural Beauty) und setzte sich für den Erhalt von Landschaft und Lebensstil im Lake District ein. Selbst kinderlos vermachte sie dem Trust ihr Land und ihre Wohnhäuser, das Hill Top House südöstlich von Hawkeshead und Monk Coniston Estate, am nördlichen Ufer von Coniston Water.

Herrenhaus-Atmospäre

Herrenhaus-Atmospäre

Doch es ist nicht Peter Rabbit, der Hasen-Held des wohl berühmtesten englischen Kinderbuches, der hinter Monk Coniston Hall durchs Gras hoppelt. Beim schon erwartet schönen Blick hinunter auf Coniston Water schnuppert eine dunkelbraune Siamkatze neugierig am englischen Rasen. Dann schleicht sie in einen mächtigen Wald aus Koniferen, Redwoods und anderem exotischen Gehölz, dereinst gepflanzt, um die illustren Gäste des Hauses durch Flora aus den entlegenen Winkeln des Empire zu beeindrucken. Und wie die Katze im Unterholz spurlos verschwindet, wollte auch Beatrix Potter unauffindbar in ihrem geliebten Lake District aufgehen. Sie ließ ihre Asche an einem geheimen Ort verstreuen. Als Wordsworth 1850 mit achtzig Jahren starb, meinte sein Freund Thomas de Quincey über ihn, dass der Dicher in seinem Leben wohl 175.000 Meilen gegangen sei. Das wären etwa sechs Meilen täglich. So ganz unwahrscheinlich scheint das nicht. Und auch als Pensum für einen Wanderurlaub gut zu schaffen.


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NÜTZLICHES

INFOS ZUM LAKE DISTRICT:

http://www.lakedistrict.gov.uk