Manchmal meckert‘s im Moor
Gesundheitsfördernd und geheimnisvoll: Die Moorlandschaft an der Schwäbischen Bäderstraße bietet Schwingrasen, Sonnentau und Himmelsziegen
Der Holzzuber ist randvoll mit schwarzbraunem Brei. Doch was nach Pech aussieht ist Gold wert. Der nackte Körper taucht ein, nur der Kopf schaut heraus. Es wird wohlig warm, die Muskulatur entspannt, Gefäße erweitern sich, der Stoffwechsel wird angeregt. Schon meint man zu fühlen, wie der Schmerz an der Wirbelsäule verschwindet. Die Huminsäuren des Moorbads beginnen zu wirken.
Mal neugierig ins Moor eintauchen. Entlang der schwäbischen Bäderstraße, die von Überlingen am Bodensee nach Bad Wörishofen im Allgäu führt, gelingt das auf verschiedenste Weise: um sein Wohlbefinden zu steigern und seinen Wissensdurst zu stillen.
Eigentlich klingt der Begriff ja düster, weckt Assoziationen an gefährliche Wege, an gespenstische Nebel, an Schauergestalten und Schauplätze finsterer Verbrechen, wo am Ende gar eine Leiche verschwindet. Dabei sind Moore einzigartige Lebensräume, deren Geheimnisse eher erstaunen als erschrecken.
Beweglicher Untergrund: Schwäbische Moorlandschaft
Über 200 Jahre wurde hier die Landschaft zur Torf- und Ackerlandgewinnung durch Entwässerungskanäle trocken gelegt und letztlich zerstört. Nicht nur wiesenbrütende Vögel und Orchideen verloren ihren Lebensraum. Auch ein im Verborgenen konservierter Kulturschatz wurde freigelegt, damit aber gleichzeitig dem Verfall preisgegeben: Über Jahrtausende erhaltene Pfahlbauten, Palisaden und Holzwehrmauern aus vorgeschichtlicher Zeit tauchten auf und wurden durch Luftberührung langsam zersetzt. Vier dieser Fundstellen tragen heute den begehrten Welterbe-Titel. Der Federsee gilt als fundreichstes Moor Europas.
Um Kultur und Natur gleichermaßen zu retten, begann im ältesten deutschen NABU-Naturschutzgebiet die Renaturierung der Moorruine. Die Entwässerungsgräben wurden wieder zugeschüttet. Die trocken gelegten Seeflächen hatten ohnehin kaum fruchtbare Böden ergeben und die Zeiten, als die Bauern mit Moortorf heizten und die Dampflokomotiven der Schwäbischen Eisenbahn damit befeuert wurden, waren schon lange vorbei.
„Die Renaturierung von Mooren ist auch ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz“, erklärt Wernicke. Was wenig bekannt ist: Weltweit ist etwa ein Drittel des Kohlenstoffvorrats der Erde in Mooren gebunden, obwohl sie nur drei Prozent der Erdfläche bedecken. Rund zehn Prozent aller CO2-Emissionen stammen aus geschädigten und zerstörten Mooren. Entwässerte Moorböden setzen mit der Durchlüftung des Torfs erhebliche Mengen an CO2 frei, da der in den Pflanzen gebundene Kohlenstoff oxydiert.
Durch den gestiegenen Wasserspiegel liegen die archäologischen Zeugnisse am Federsee inzwischen wieder wohlbehalten unter Wasser. Die Originale sind ohnehin nur für Forschungszwecke zugänglich. Authentische Darstellungen und Nachbauten dieser Pfahlbauarchitektur können im nahen Federseemuseum betreten werden. Dazu gibt es Funde aus 14 000 Jahren Menschheitsgeschichte.
Dank EU-Förderung findet heute auch die Welt über dem Wasser ihre Balance wieder. Das LIFE-Natur-Programm sorgt für den Erhalt gefährdeter Arten wie Schlammpeitzger, Steinbeißer, Goldener Scheckenfalter oder Gelbbauchunke. Kartierungen des NABU belegen, dass viele durchziehende Vogelarten erstmals wieder am See Station machen. Doch nicht nur sie.
Eineinhalb Kilometer lang ist der hölzerne Steg, der von Bad Buchau über feuchte Wiesen und durch mannshohes Schilf hinaus zur Aussichtsplattform führt. Und dort trifft man sie dann: Naturfotografen mit überdimensionalen Teleobjektiven. Wettergerecht eingepackt warten sie auf den richtigen Moment, um Fischadler, Rohrdommel, Eisvogel oder Kornweihe abzulichten. Wer die Exoten unter den 266 Vogelarten, die bislang am Federsee gezählt wurden, sehen möchte, muss Fernglas und Geduld mitbringen.
Wir fahren weiter zum Wurzacher Ried, dem größten intakten Hochmoor Mitteleuropas. Ein Gletscher hinterließ das Wurzacher Becken, 2540 Fußballfelder groß. Auch hier wurde einst die nachtschwarze Heilerde gewonnen. Inzwischen bleibt das Areal, von 20 Kilometern Wander- und Radwegen durchzogen, wieder sich selbst überlassen.
Elsa Löffler vom Team des Naturschutzzentrums Wurzacher Ried quetscht einige Wassertropfen aus einer Handvoll Torfmoos. „Die Pflanze gibt Wasserstoffionen ab, um selbst an letzte Nährstoffe zu kommen. So wächst das Hochmoor ein Millimeter pro Jahr.“ Torfmoose erzeugen ebenso jene Gerbsäuren, die zum Erhalt der schaurigen Moorleichen beitragen.
Flora und Fauna dürfen im Ried ihr eigenes Tempo bestimmen. Die entschleunigte Landschaft lässt auch die eigenen Schritte langsamer werden. Es bleibt Zeit zum Schauen. Über einem Entwässerungsgraben liegen umgestürzte Bäume. „Seit der Jahrtausendwende wurde hier der Biber erfolgreich wieder angesiedelt“, weiß Löffler. „Man hatte ihn ja nicht nur seines Fells wegen ausgerottet, sondern in früheren Zeiten während der Fastenzeit auch gegessen. Weil er doch im Wasser lebte, ging er mehr als Fisch durch.“
An früher erinnern in Bad Wurzach auch das Torfmuseum und das historische Torfbähnle. Eine Handvoll Männer haben die stillgelegten Gleise, über die einst der Torf abtransportiert wurde, ehrenamtlich restauriert und neu verlegt. Acht Stundenkilometer langsam tuckert die kleine Bahn nun mit Waggons voller Besucher durchs feuchte Moorgelände. Lockführer Dieter Wunderlich lässt zwischendurch per Hebel etwas Sand aus der Lock auf die Schienen rieseln. „Das Grundwasser ist hier wieder angestiegen, da werden manchmal auch die Gleise feucht. Ohne Sand würden wir nicht weit gekommen.“
Gemächlich geht es an Birken, Schilfrohr und verrostenden Loren vorbei. Würde jetzt Nebel aufkommen, die gespenstische Atmosphäre wäre komplett. Mit gerade 14 PS ächzt die kleine Lock vorwärts. Über Jahrhunderte erzeugte diese verwunschene Riedlandschaft ihre eigenen klagenden und meckernden Geräusche. Sie schürten den Aberglauben, es müsse der Teufel sein, der dort herumspukt. Dabei war es oft nur die kleine Bekassine, heute als Meckervogel oder Himmelsziege bekannt, die diese Töne erzeugte. Als Vogel des Jahres durfte sie 2013 sogar für den Erhalt von Mooren und Feuchtwiesen werben. Überdauert hat der Geisterglauben dennoch: in den dämonischen Masken der örtlichen Narrenzunft, die sich „d‘Riedmeckeler“ nennt.
Bleibt noch ein Besuch in der Ausstellung „Moor extrem“, ein multimediales, extrem kurzweiliges Erlebnis. „Moor ist immer extrem“, betont Horst Weisser, Leiter des Naturschutzzentrums Wurzacher Ried, „extrem langsam, extrem vielseitig, extrem trickreich, sauer oder basisch, feucht oder trocken.“
Neun Stationen erklären diesen extremen Lebensraum auf Knopfdruck vorbildlich. Die Moorhexe Kaluna ist immer dabei und erzählt den Jüngsten auf einer Extraspur alles kindgerecht. Übertrieben wurde einzig beim Sonnentau, der als Modell in monströsem Maßstab ausgestellt ist, vorsichtshalber hinter Gittern. Dabei ist die hungrige Pflanze draußen in der Natur eher schwer zu finden und lauert auch nur auf Kleinstgetier.
Moor multimedial: Die Ausstellung „Moor extrem“
Bitte noch einmal Platz nehmen und den Bildern und der Musik folgen, die ganz ohne Worte die Moorstimmung übers Jahr eingefangen haben: die vielen Blüten und das satte Grün des Sommers, den mystischen Herbst in braun, gelb und rot, Schnee und Eisformen des stillen Winters und den erwachenden Frühling, wenn die Birken austreiben und das Wollgras blüht. Für eine erholsame Auszeit zwischendurch einmal in diese langsam getaktete Landschaft abtauchen, das kann zu jeder Jahreszeit gelingen.