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stadt der geistesblitze

Ein Besuch in Oxford

Im Keller hängt eine Schiefertafel mit handschriftlichen Formeln Einsteins. Ein paar Häuser weiter wird die erste gedruckte Sammlung von Shakespears Stücken aufbewahrt, 1623, sieben Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht. Dazu eines der ältesten Manuskripte von Euklids „Elemente der Geometrie“ aus dem Jahre 888, über zweitausend Jahre ein Standardwerk der Mathematik.

Oxfords Museen und seine Universität quellen über von Zeugnissen genialer Geistesblitze. Doch die Stadt ist nicht nur ein Hort ehemals Gedachtem, hier bereitet sich bis heute der akademische Nachwuchs auf seinen beruflichen Eintritt in die Eliten der Welt vor. „Auch unser Premierminister David Cameron hat in Oxford ‚PPE’ studiert“, erzählt Joseph Basha und fügt bewundernd hinzu „und mit Bestnote ‚first class’ abgeschlossen.“ Die Abkürzung „PPE“ steht für „politics, philosophy, economics“, eine der beliebtesten Fächerkombinationen. Da die Latte für die Aufnahme in eines von Oxfords 38 Colleges entsprechend hoch liegt, versteht sich auch das hohe Niveau von selbst. Etwa 30 Prozent der jährlichen Abschlüsse sind „first class“.

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Auf 160.000 Einwohner kommen 22.000 Studenten, kein Wunder, dass die Gesichter auf Oxfords Straßen jung aussehen. Ein auffälliger Kontrast in einem Stadtbild, dessen steinalte Architektur von wuchtigen Mauern, kantigen Zinnen, spitzen Erkern und neugotischen Türmchen geprägt wird. Es lohnt sich, diese eigentümliche Alt-Jung-Atmosphäre einmal etwas genauer zu betrachten.

An der morastigen „Furt der Ochsen“ entstand aus einer ehemaligen Klosterschule im 13. Jahrhundert die älteste britische und mit Paris und Bologna die drittälteste Universität Europas. Nachdem Heinrich II. 1167 das Studium in Paris verboten hatte, wuchs Oxfords Universität schnell. Gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Stadtbewohnern ließen etliche Studenten und Professoren 1209 nach Cambridge fliehen. Mit der Gründung der dortigen Universität begann eine Rivalität, die als „Oxbridge“ bis heute das geistige Leben Großbritanniens prägt, aber auch in einem jährlich wiederkehrenden Ruderbootrennen auf der Themse ihren Ausdruck findet. Im ewigen Wettstreit wird aber nicht nur die Zeit gestoppt, es werden auch die Nobelpreisträger gezählt: Oxford kann 46 vorweisen, Cambridge allerdings 88.

Auf Oxfords Straßen sind dafür auffallend viele Radfahrer unterwegs. Die Pedalen bieten sich an, weil die Entfernungen überschaubar sind. Auch zu Fuß lässt sich die Stadt sehr gut erkunden. „Die High Street ist die schönste Straße Europas“, schwärmt Joseph. Sie beschreibt einen kleinen Bogen zwischen dem Botanischen Garten im Osten und dem Carfax Tower im Westen. Dazwischen reiht sich eine reizvolle Vielfalt von Colleges, historischen Wohnhäusern, Buchläden und der Universitätskirche St. Mary the Virgin. Bei Shepherd & Woodward wird sämtliche akademische Garderobe gekauft.  Am Westende der „High“ führen kleine Gassen in ein Labyrinth überdachter Marktstände, die von Lebensmitteln bis Lederwaren regenfreien Einkauf ermöglichen.

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Nördlich dieser Marktlandschaft führt Joseph ins Jesus College. Den Eingang in die städtischen Colleges markiert oft ein mächtiges Eichentor, hinter dem ein „Porter“, mitunter mit Bowler, in seiner Loge darauf achtet, dass nur Mitglieder das Gelände betreten. Ein tieferer Einblick hinter die Kulissen ist normalerweise nur im Rahmen der angebotenen Stadtrundgänge möglich. Doch es gibt Ausnahmen: Das Lincoln College ist wochentags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Hier dürfen sich sogar Gäste einquartieren.

„Die Architektur erzählt auch viel über den Reichtum der Colleges“, meint Joseph im Innenhof, während ein warmer Mairegen auf den adrett getrimmten englischen Rasen tröpfelt. Wer am Jesus College studierte, kam bis Mitte des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich aus dem Fürstentum. Als ob sie den Wohlstand zur Schau stellen wollen, klettern üppig blühende Rankgewächse an den Gebäuden hinauf zu kleinen Butzenscheiben, hinter denen Lehrkräfte und Studenten wohnen. Eine Bibliothek, ein Speisesaal und eine Kapelle vollenden architektonisch das übliche College-Viereck.

Derzeit kosten die drei Terms eines Jahres mit je zwei Monaten Studienzeit für EU-Studenten etwa 14.000 Pfund. Andere Nationen werden nicht staatlich subventioniert und zahlen mehr. Die meisten Studenten in Oxford kommen aus den USA, gefolgt von China, dann Deutschland. Doch es würde auch für EU-Angehörige teurer, meint Joseph. Der Staat wolle angesichts der EU-Krise seine Zuschüsse kürzen.

Am Kopfende des Speisesaals im College steht der High Table, erhöht und quer zu den Tischen, an denen die Studenten ihre Mahlzeiten einnehmen. Das Möbelstück ist ein sichtbarer Ausdruck akademischer Rangordnung. Dort oben zu sitzen ist nur den gehobenen Repräsentanten des College vorbehalten. Formale Garderobe ist Pflicht, eine Einladung auf diese zehn Zentimeter Höhe eine ganz besondere Ehre.  
In Sachen Gleichberechtigung tat sich Oxfords akademischer Klüngel lange schwer: Bis 1878 war es Frauen verboten, an den Colleges zu studieren. Erst 1920 konnten sie dieselben akademischen Grade wie ihre männlichen Kommilitonen erwerben. Heute sind von den jährlich gut 18.000 Bewerbern 60 Prozent Frauen. Auch sonst hätte sich Einiges verändert, meint Joseph. So hätten die drei jüngsten Colleges keine Kapelle mehr, sondern stattdessen einen Meditationsraum.

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Gegenüber des Jesus College liegt die Bodleian Library, ein Komplex mit mehreren historischen Gebäudeteilen. Sie wurde vor gut 400 Jahren als erste öffentliche Bibliothek Englands gegründet und beherbergt über 11 Millionen Bücher. Zutritt ist nur Studenten erlaubt. Offen und unbedingt anzusehen ist die Divinity School, 1488 für die Theologie-Lehre erbaut, war es auch der erste Prüfungsraum der Universität. In die meisterhaft modellierten gotischen Deckenverzierungen sind die Siegelbuchstaben all jener eingearbeitet, die die Universität finanziell unterstützt haben. Wer in dieser Kulisse steht und die Harry-Potter-Filme gesehen hat, wird auch etwas von „Hogwarts“ wiedererkennen. Auch hier bildet ein viereckiger Innenhof das Zentrum der Anlage. Über den Türen, die zu den ehemaligen Schulen führten, stehen noch die lateinischen Inschriften. Ernst und streng blicken die in Stein gemeißelten Köpfe herab, als ob Lernen noch nie Spaß machen durfte. Aus ihrem umfassenden Fundus stellt die Universitätimmer wieder spezielle Ausstellungen zusammen. Bis September ist noch „Marks of Genius: Masterpieces from the Collections of the Bodleian Libraries “ zu sehen.

Zeit für einen Zwischenstopp. „Wer nicht im Turf Tavern war, war nicht in Oxford“, meint Managerin Stella Berry selbstbewusst. Schwierig zu finden ist dieser Pub allerdings. Neben der Bodleian Library spannt sich die Hertford Bridge über die New College Lane. Gleich dahinter zweigt die schmale St. Helens Passage ab. Zwei, drei Ecken bergab, und der unscheinbare Pub mit der langen Prominentenliste ist erreicht. Wo Bill Clinton wohl auch das Rauchen ohne Inhalation geübt hat, stürzte der australische Premierminister Bob Hawke zweieinhalb Pint Bier in elf Sekunden hinunter. Muss wohl ein heißer Tag gewesen sein.

Wer zur Erholung statt geistiger Getränke geistliche Musik bevorzugt, sollte sich zum täglichen Evensong um 18 Uhr an der Christ Church Cathedral einfinden. Dann begleitet der Chor der Kathedrale die Abendandacht. Eine ideale Gelegenheit, um für eine Stunde das Gewusel der Stadt hinter sich zu lassen, in einer der dunklen Eichenholzbänke Platz zu nehmen und sich von himmlischen Stimmen aus der Welt forttragen zu lassen. Es empfiehlt sich rechtzeitig da zu sein, denn die kostenlosen Konzerte sind gut besucht.

Oxfords musikalische Tradition reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück, seit 500 Jahren besteht allein dieser Kirchenchor. Fast auf dieses Alter kommen auch die ältesten Musikinstrumente der Bate Collection. Wer musikalisch interessiert ist, sollte vom Christ Church College ein Stück die St. Aldates Road hinunter gehen. Etwas versteckt, hinter dem Gebäude der Musik-Fakultät, hat diese einzigartige Sammlung ihr Zuhause. Schon beim Eintritt wittert die Nase, dass hier Geschichte in der Luft liegt. Kurator Andy Lamb steuert sofort auf einen besonderen Schatz der Sammlung zu. Unter einem großen Portrait Händels steht dessen akkurat gestimmtes Cembalo. Ein Stockwerk höher darf der Besucher unter anderem ein Instrument des Hamburger Cembalobauers Hieronymus Albrecht Hass aus dem Jahr 1743 erklingen lassen. “Alle unsere Instrumente sind spielbereit“, sagt Andy. „Sie werden oft auch von Studenten der Universität für Konzerte ausgeliehen.“ Der 1999 gestorbene Philip Bate hatte seine Sammlung der Universität unter der Bedingung geschenkt, dass sie tatsächlich auch genutzt wird.

"Dominus Illuminatio Mea" - der Herr ist mein Licht“, heißt das Motto von Oxfords Universität. Doch es wäre unredlich, bei so vielen Lichtgestalten den Blick auf die Dunkelmänner zu vergessen. Bis 1996 war Oxfords Gefängnis in der alten Burganlage in Betrieb. Mit seiner weit zurückreichenden Geschichte galt es einst als eines der grausamsten des Landes. In der renovierten Krypta unter der Burg sollen noch immer einige gequälte Seelen herumgeistern. Heute kostet der Aufenthalt in den renovierten Anstaltsblöcken allerdings Geld und nicht, wie oft in den Jahrhunderten vorher, das Leben. Aus drei ehemals spartanischen Zellen entstanden luxuriöse Hotelzimmer. Geblieben sind die langen Zellenflure, die niedrigen Türen und ein Name, der in seiner ursprünglichen Bedeutung nichts Gutes verhieß: Malmaison.

Zu Fuß geht es an der Rush Hour vorbei in Richtung Beaumont Street. Der Verkehr wird um die moosbewachsenen Grabsteine neben der Church of St. Mary Magdalen herumgeleitet. Die Tauben, die darauf dösen, lassen sich von dem Trubel nicht stören.

Viele der universitären Schätze sind im Ashmolean Museum ausgestellt. Kostenlos wird hier gezeigt, was das einstige britische Empire aus allen Winkeln der Welt zusammengetragen hat. Im Gang vor der ägyptischen Frühgeschichte sind die Zeichnungen eines Schülerwettbewerbs aufgereiht. „Young Art Oxford“ sammelt mit dieser Aktion für krebskranke Kinder. Gewonnen hat das Stillleben eines Siebtklässlers. Es zeigt eine Tasse Tee, ein aufgeschlagenes Exemplar von „Alice im Wunderland“, den Abdruck eines prähistorischen Fossils und dahinter das runde Gebäude der Radcliffe Camera, eine der Bibliotheken Oxfords. Kein Zweifel: Die nächste Generation genialer Geister steht bereits in den Startlöchern.


 

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