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Kulturbad Brighton

Englands Seebad Brighton bietet kunterbunte Kultur, dazu ein großes Festival und ist selbst ein kleines Kunstwerk

Bei dem lauten Gezwitscher muss es ein wirklich bunter Vogel sein. Nur wo versteckt er sich zwischen all diesen Second Hand Shops, Bars und Restaurants, zwischen Nippes und Delikatessen mitten in Brightons exotischem Viertel North Laine? In Richtung der schrillen Töne steht ein älterer Herr mit rotem Käppi. Er hält ein Schild hoch: Vogelpfeifen, drei Pfund pro Stück.

Irgendwie also doch ein komischer Vogel, der zwitschernd die Passanten zum Kauf animiert. Zwischen dem vorbei strömenden Volk fällt er optisch gar nicht weiter auf. Da sind die tätowierten Punks mit greller Haarfarbe und ihre bauchfreien, gepiercten Freundinnen schon eher ein Hingucker. Auch der Senior in weißem Anzug auf Plateausohlen. Oder die ergrauten „Mods“ in alten Militärparkas, die fachsimpelnd vor ihren getunten, mit Rückspiegeln dekorierten Motorrollern stehen. Sie erinnern an Quadrophenia, den Spielfilm über die britische Subkultur der 60er Jahre.

 

Zum Hingucken gibt es im englischen Seebad Brighton viele Anlässe. „Es war schon immer ein Ort für Bohemiens“, meint Terence Ryder vom Brighton Museum, der vor Jahren London verließ, um hier zu wohnen.

An der Wasserfront steht ein Plastik-Elvis und lädt zu Fish und Chips ein. Sein offener Mund könnte Singen oder Schmerz bedeuten, weil ihn der steinige Strand quält. Brighton ist ein Seebad ohne Sand. Wer sich dicht am Wasser ausstrecken möchte, muss sich auf Kies betten. Doch die Stadt ist allein für einen Strandurlaub ohnehin zu schade. Da bietet sich vielmehr an, ausgiebig in ihre kulturelle Atmosphäre einzutauchen. Sie ist die Bühne für das jährlich größte Kulturfestival im Königreich. Seit 1967 lockt das Brighton Festival drei vollgepackte Wochen lang mit Musik, Tanz, Theater, Kunst, Film, Literatur und Artistik. In diesem Jahr vom 5. bis 27. Mai.

Damit nicht genug. Die kulturellen Attraktivitäten werden für das ganze Jahr ausgebaut. Fotografie und Film sind ebenso eigene Festivals gewidmet, wie der zeitgenössischen Kunst. Für diese Richtung griff Ende letzten Jahres die „House“-Biennale das Thema „Excess“ auf. Im Brighton Museum lag eine lebensgroße Giraffenskulptur, angezogen mit bunten Stoffkleidern, verdreht und wie tot am Boden. Gipsköpfe schauten staunend von der Wand auf das exotische Tier hinab. Daneben standen Georg, der Prinz of Wales, der 1820 zum britischen König Georg IV. gekrönt wurde, und seine Frau als pummelige Figuren. „A King‘s Appetite“ hieß die Installation der britischen Künstlerin Laura Ford.

"A King's Appetite", Installation von Laura Ford

"A King's Appetite", Installation von Laura Ford

Hinter all dem steckte jene historische Realität, die in Brighton aufs engste mit der Gegenwart verbunden ist. Während der Prinzregent auf seine Thronbesteigung wartete, wuchsen seine Schulden durch den permanenten Umbau der von ihm bewohnten Paläste. 1787 ließ er dann in Brighton den Royal Pavillion errichten, der mit seinem indischen Äußeren und seiner chinesischen Inneneinrichtung ein sehenswertes Monument für exzessiven Luxus ist. Allein wie ein silberner Drache unter der zeltförmigen Decke der Banketthalle eine riesige Gaslampe hält, ist beeindruckend. Obwohl das Haus der Stadt gehört, ist das Enterieur bis heute Eigentum der Queen. Tatsächlich besaß der damalige Prinz of Wales besaß auch eine Giraffe als Haustier, die aber bald wohl am britischen Klima verstarb. Das verwöhnte Kind im König, die Ähnlichkeit ihres ausgestellten Prinzregenten mit Donald Trump sei nicht zufällig, hatte Laura Ford zur Eröffnung erklärt.

Wer die soziale Schichtung der Kunstepoche „Regency“, benannt nach jenem Prinzregenten, kennenlernen möchte, muss Terence Ryder auf seiner Tunnel Tour durch die Gewölbe des Royal Pavillion folgen. Ab zehn Interessenten öffnet er die Tore zu einer verborgenen Unterwelt. Durch ein schmuckvoll gefliestes Treppenhaus geht es in ein tristes Labyrinth aus Gängen und verschlossenen Türen. Dort hielten sich die Bediensteten auf, die hier gelagerte Luxusgüter bei Bedarf nach oben schaffen mussten, wo „die finale Parade der Pfauen vor dem Beginn der Tristesse des Viktorianischen Zeitalters“, ihre opulenten Feste feierten, so ein Historiker.

Zahlreiche zeitgenössische Karikaturen an den Wänden dieser Keller zeigen vollgestopfte und betrunkene Aristokraten, die ihre Füße auf den Tisch legen, während die schüchterne Dienerschaft im Hintergrund auf weitere Befehle wartet. Es ist erstaunlich, aber damals gab es in England eine lebhafte öffentliche Teilhabe und Diskussion über politische Fragen, die die Nation bewegten. Und sie wurde nicht durch Pressezensur eingeengt. Doch auch die jüngere Geschichte ist hier zuhause. Wo einst Kinder zum Säubern durch die Kamine geschickt wurden, suchte die Bevölkerung während des Krieges Schutz vor Angriffen aus der Luft. Eine Karte zeigt die Bombeneinschläge, die die deutsche Luftwaffe in Brighton hinterließ.

Dann doch lieber über ein Paar Treppen wieder zurück in die Gegenwart. Noch rasch im Cafe Cloud 9 ein Konditor-Kunstwerk probieren: ein Stück vom Rainbow Cake, einer in regenbogenfarben gefüllten Torte, bei der der Kuchenteller rasch zur Farbpalette wird.

Für den Abend wartet natürlich Brightons Pub-Kultur. Es erstaunt immer wieder, wie die jungen britischen Damen selbst bei kühlsten Temperaturen leichtes Outfit bevorzugen. Sie scheinen einfach nicht zu frieren, selbst dann nicht, wenn die Türsteher vor den gut besuchten Pubs den Besucherstrom drosseln müssen.

Vielleicht muss es wirklich der frühe Morgen sein, der in Brighton etwas Ruhe bringt. Einfach das alterwürdige Hotel unweit des Pier verlassen. Über den mit schottischem Clanmuster dekorierten Teppichboden zum Ausgang gehen, weil draußen die Morgensonne schon den Strand ausleuchtet. Die Höflichkeitsfloskeln britischer Gesprächskultur, mit der sich Gäste und Personal über dampfendem Frühstück vehement versichern, dass alles „very well“ und „excellent“ sei, werden leiser. Dann gibt es nur noch das Plätschern der Wellen und ein paar Möwen, die still in der Luft kreisen. Doch bald werden die Glücksspielautomaten auf dem Pier wieder losrattern und die Souvenirshops lautstark ihr Sortiment anbieten. Und die Besucher werden sich entscheiden müssen: heute einfach mal nur den Kitsch in den unzähligen Läden von North Laine sichten oder sich lieber an einem Kulturevent in einem der Museen erbauen?


MAP

 

NÜTZLICHES

Anreise:
Easyjet fliegt z.B. von Hamburg nach London Gatwick. Von dort ist man innerhalb einer Stunde problemlos in Brighton. Entweder mit dem Auto oder dem Busunternehmen National Express.

Infos zum Brighton Festival:
https://brightonfestival.org/

Brighton Museum & Art Gallery (hier auch nach der Tunnel Tour nachfragen):

https://brightonmuseums.org.uk/brighton/