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high tech gipfelsturm

Schweizer Bergbahnen

„Jetzt geht’s auf einen der interessantesten Berge der Welt“, freut sich Christian Banzer von der Pilatusbahn an der Talstation in Alpnachstad. „Wirklich ein Geschenk Gottes“. Das klingt nach religiöser Verehrung. Dabei war es der Teufel, der mit dem toten Pilatus der Sage nach dort oben Schindluder trieb und ihn in einen kleinen Bergsee warf. Seither sollen sich die bösen Geister am Pilatusberg nicht beruhigt haben. Natürlich kann solch ein Spuk keinen an Physik statt Metaphysik glaubenden Ingenieur davon abhalten, auf diesen Gipfel hinauf die steilste Zahnradbahn der Welt zu bauen. Das war 1889. Der Run auf die Schweizer Berge war bereits in vollem Gange.

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Schon Ende August 1863 hatte der britische Reiseveranstalter Thomas Cook in seinem „Excursionist“ den Kunden mitgeteilt: „Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass das Reisen in der Schweiz eine so schwierige Angelegenheit sei, dass es nicht von Damen oder durch Personen unternommen werden könne, die nicht über außerordentlich starke physische und psychische Kräfte verfügten“.

Cooks Reisegesellschaft, vier Damen und vier Herren, tourte bis Mitte Juli 1863 quer durchs Land und kam dabei auch über Stans und Alpnachstad zum Vierwaldstättersee. Der Pilatusberg war für bequemes Reisen noch nicht eingerichtet, deshalb logierte die Gruppe drüben auf dem Rigis-Gipfel. Dort gab es bereits seit 1856 ein Hotel mit 200 Betten. Heute lässt sich, Technik sei dank, auch ohne große Anstrengung vom Luzerner Hausberg und diversen weiteren Berggipfeln hinunterblicken.

Für ein derartiges Gipfel-Hopping stiegen wir zunächst am Bahnhofsquai in Luzern auf das Dampfschiff nach Alpnachstad. Während sich der Rauch überm Schornstein kräuselte, zog in der Ferne das „Verkehrshaus“ vorbei. „Das meistbesuchte Museum der Schweiz“, brachte Thomas Hoffmann von Swiss Travel Systems die nationale Technikbegeisterung auf den Punkt. Wie mit dieser Begeisterung auch die Bergwelt zugänglicher gemacht wurde, erstaunt immer wieder.

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Ein paar See-Meilen weiter, krallen sich die beiden stählernen Zahnräder der Pilatusbahn horizontal in die Schienen. So bugsieren sie die Waggons bei bis zu 48 Prozent Steigung in dreißig Minuten auf 2132 Höhenmeter. „Runter dauert es zehn Minuten länger, weil mehr drückendes Gewicht abgebremst werden muss“, sagt Banzer. Kein Zischen oder Schnauben, kein Ruß und Rauch, alles funktioniert elektrisch. Vorn im Führerstand zeigen zwei klobige Messgeräte von 1937 Volt und Ampere des Bahnstroms an. 95 Prozent der viereinhalb Kilometer langen Strecke sind noch Material von 1889. Sicherheit am Berg bedeutete damals auch: nicht nur für die Zukunft, lieber gleich für die Ewigkeit bauen. Nach 400 Arbeitstagen waren die himmelwärts führenden Schienen gelegt, eine technische Glanzleistung.

Unterwegs verschluckt der Berg die roten Waggons mehrmals, spuckt sie aber ein paar Meter höher immer wieder aus. Kurz unterhalb des Gipfels taucht die Fensterfront einer Panorama-Galerie aus vorbei wehenden Nebelfetzen auf. Daneben steht das 1890 erbaute Berghotel Pilatus-Kulm unter Denkmalschutz. „Wir wollen das Alte mitnehmen und in das Neue integrieren“, beschreibt Banzer die Modernisierung dieser Gipfelwelt. Drinnen strahlen Glühbirnen in den Kronleuchtern des Queen Victoria Restaurants, Leuchtdioden erhellen schmiedeeiserne Jugendstil-Geländer und in den Zimmern und Suiten mit grandioser Aussicht warten Designerbetten, Wlan, und Flachbildschirm. Für das ganz besondere Business-Meeting stehen Dragon Forum, Mythen Foyer und Gipfelsaal bereit. Von dort wandert der Blick durch riesige Panoramascheiben über eine wunderbare Bergwelt, aber auch hinab in beachtliche Tiefen. Brainstorming am Abgrund, mag sein, dass es ja tatsächlich Umsatz steigernde Geistesblitze weckt. „In ganz Europa gibt es einfach nichts Vergleichbares“, schwärmt Banzer.

Die Briten kamen damals auch im wenige Kilometer entfernten Stans vorbei. Allerdings wiederum zu früh, um in den Genuss der Standseilbahn aufs Stanserhorn zu kommen. Die wurde erst 1893 gebaut.

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Im unteren Bahnabschnitt blieb die Nostalgie der ersten Tage erhalten. Offene Holzwagen rumpeln bergauf an Kuhweiden und heimeligen Häuschen vorbei. Dann heißt es umsteigen ins 21. Jahrhundert: Die weltweit einzige Cabrio-Gondel steht bereit. Drinnen führt eine Wendeltreppe aufs Dach, das von einem Sicherheitsgeländer umrahmt ist. Auf dem offenen Oberdeck können dreißig schwindelfreie Passagiere stehen. Ein sanfter Ruck und die Reise beginnt. Fast lautlos wird die Gondel über vier Tragseile, jedes wiegt 70 Tonnen, auf den 1900 Meter hohen Gipfel gezogen. Weil die Kabine an beiden Seiten in Seile eingehängt ist, gibt es keine unangenehmen Seitwärtsbewegungen. Alles ist perfekt ausbalanciert. Nur wenn die Gondel über einen der vier Stahlmasten rollt, beginnt sie leicht zu schaukeln. Eine spezielle Hydraulik verhindert aber zu große Schwingungen. 

Auch Ranger Robert Deiss schwebt mit diesem futuristischen Gefährt an seinen Arbeitsplatz, zum ehrenamtlichen Gipfeldienst. Er ist einer von 16 pensionierten Bergenthusiasten, die nach ihrem Berufsleben den Besuchern das Bergleben erklären. Da werden Gipfel und Gemsen durchs Fernglas geortet, Fauna und Flora beschrieben sowie Geschichten und Anekdoten erzählt. Auch die vom Stanserhorn als einzigartigem Kraftort, an dem sich weltumspannende Energielinien treffen. Deiss zeigt auf eine Plakette: „Hier oben wurden 22.000 Bovis-Einheiten gemessen. Derartige Mengen an Lebensenergie findet man nur noch an den Pyramiden von Gizeh oder der Mond-Pyramide von Teotihuacán in Mexiko.“ Auch er sei skeptisch gewesen, sei aber auch schon Zeuge heftiger Reaktionen gewesen. Man könne sich einfach auf die Stufen setzen und auftanken. Die Kraft habe aber auch schon so manchen aus den Schuhen gehauen. Uns bleibt derartiges erspart.

Ob solch geballte Energie mit daran Schuld war, dass das Gipfelhotel 1970 nach einem Kurzschluss abbrannte, darf spekuliert werden. Übernachtet werden kann auf dem Stanserhorn jedenfalls nicht mehr. Dafür gibt es jetzt ein Restaurant, das sich in 45 Minuten einmal um seine Achse dreht. Derweil stehen alle markanten Gipfel der Schweiz hinter den Fenstern Spalier. Knapp 30 Millionen Franken haben die Gipfelattraktionen gekostet, die notwendige Verlegung eines Murmeltiergeheges nicht mitgerechnet.

In Interlaken bestieg die englische Reisegruppe ein Dampfschiff, das sie über den Brienzersee nach Giessbach brachte. Bis heute bilden Schiffstation, Standseilbahn, die Wasserfälle und das Grandhotel Giessbach zusammen ein Ensemble, das dieses Reisegefühl des späten 19. Jahrhunderts wieder aufleben lässt. Schon in der Eingangshalle des Hotels scheint diese Zeit eingefangen wie Forelle in Aspik.

Auch wenn man sie zunächst nicht sieht, tönt von der anderen Seeseite die Dampfpfeife der Brienzer Rothornbahn. So ein richtiger „Pufferküsser“ wird angesichts der fauchenden, ölbefeuerten Lokomotive und ihrer herumsausenden Mechanik glänzende Augen bekommen. 1892 erbaut, schraubt sich die Bahn mit neun Stundenkilometern in genau dieser Stunde bis auf 2244 Meter hoch.

Natürlich riecht man beim Einsteigen Öl und Dampf und wenn sie losfährt mischen sich mit den Höhenmetern bald Heu- und Walddüfte hinzu. In den engen Tunneln, die das Schnauben der Lok widerhallen lassen, klingt sie wie ein Tier, das sich bergauf quält. Und dieses Tier hat Durst. Auf halber Strecke muss Wasser nachgefüllt werden. Der Brienzer See im Tal ist nur noch ein türkisfarbener Fleck. Und bis die Bahn ihre Endstation erreicht hat, wird er noch einmal ein Stück weiter schrumpfen. Es sei wissenschaftlich untersucht worden, heißt es, dass vom Brienzer Rothorn die meisten Berge der Schweizer Alpen zu sehen seien. Wer da mit dem Zählen nicht nachkommt, kann auch über Nacht bleiben. Das Berghaus Rothorn Kulm hat von Anfang Juni bis Mitte Oktober geöffnet.

Auch wenn man sie zunächst nicht sieht, tönt von der anderen Seeseite die Dampfpfeife der Brienzer Rothornbahn. So ein richtiger „Pufferküsser“ wird angesichts der fauchenden, ölbefeuerten Lokomotive und ihrer herumsausenden Mechanik glänzende Augen bekommen. 1892 erbaut, schraubt sich die Bahn mit neun Stundenkilometern in genau dieser Stunde bis auf 2244 Meter hoch.

Natürlich riecht man beim Einsteigen Öl und Dampf und wenn sie losfährt mischen sich mit den Höhenmetern bald Heu- und Walddüfte hinzu. In den engen Tunneln, die das Schnauben der Lok widerhallen lassen, klingt sie wie ein Tier, das sich bergauf quält. Und dieses Tier hat Durst. Auf halber Strecke muss Wasser nachgefüllt werden. Der Brienzer See im Tal ist nur noch ein türkisfarbener Fleck. Und bis die Bahn ihre Endstation erreicht hat, wird er noch einmal ein Stück weiter schrumpfen.
Es sei wissenschaftlich untersucht worden, heißt es, dass vom Brienzer Rothorn die meisten Berge der Schweizer Alpen zu sehen seien. Wer da mit dem Zählen nicht nachkommt, kann auch über Nacht bleiben. Das Berghaus Rothorn Kulm hat von Anfang Juni bis Mitte Oktober geöffnet.

Das letzte Gipfelbett ist bunt bemalt und steht in einer weißen mongolischen Jurte auf dem Rochers-de-Naye, dem 2042 Meter hohen Hausberg von Montreux. Gut drei Stunden braucht der gläserne Golden Pass Panoramic über Zweisimmen dorthin und zeigt dabei die Schweizer Bergwelt in Cinemascope. Ganz vorn, in der ersten Reihe, fliegt der Zug wie eine Achterbahn über die Schienen. Er wird erst langsamer, als er hoch über dem Genfer See in die Stadt einschwebt. Vom See, genauer gesagt von Genf, brachen vor gut 150 Jahren auch jene acht unternehmungslustigen Damen und Herren aus England auf.

Auf dem Bahnsteig in Montreux jazzen die Crazy Stompers „Bei mir bist du schön...“. Das alljährliche Jazz-Festival hat gerade begonnen und natürlich spielt Live-Musik auch in der Bergbahn auf den Rochers de Naye.

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Dort oben ist jetzt Zeit zum Ausruhen, in einem von sieben runden Zelten, die mit Bahnfahrt, Abendessen und Frühstück gebucht werden können. Lassen wir also den letzten Zug ruhig zu Tal fahren. Schauen wir auf die Lichter dort unten, genießen den Sonnenuntergang und lauschen der wachsenden Stille. Oder ist da tatsächlich Stevie Wonder zu hören, der beim Festival dem jubelnden Publikum gerade „You are the sunshine of my life“ gesteht?


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