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Stationen der stille

Klosterbesuche im Weserland

Zwischen Weser und Teuteburger Wald sucht die Dichte an Klöstern seinesgleichen. Mehr als 20 klösterliche Bauten und Einrichtungen laden als Orte der Spiritualität zur Begegnung mit Architektur, Musik und modernem Klosterleben, aber auch mit sich selbst. Forstwege und mittelalterliche Kirchpfade führen zur Abtei Marienmünster, einem koptischen Kloster in Brenkhausen und der ehemaligen Benediktinerabtei Corvey, die heute zum Weltkulturerbe gehört.
Sie alle liegen in einer ruhigen und friedlichen Landschaft, die hinaus führt aus den schnellen Lebensrhythmen, die Abstand zum Alltag schafft und die hilft, neu anzukommen bei dem, was einem wichtig ist. Manchmal reicht dafür schon ein Wochenende.

Für ein erstes Eintauchen in diese Natur ist Kulturlandführerin Gisela Reineke genau die richtige. Zum Auftakt ihrer Wildkräuter-Wanderung schenkt sie Apfelsaft mit Brennnessel-Note ein. „Da wird Schlacke gelöst und ausgespült“, weiß die Kräuterpädagogin. Während es weitergeht, wird das viele Grün am Wegesrand von ihr namentlich unterteilt: Hier, der Gundermann, dort Ahornstab, Waldmeister, Bärlauch. Und überhaupt: „Wildpflanzen sind die ehrlichsten Lebensmittel. Da ist eben die ganze Grünkraft drin.“ Schon ist der Bogen zur Benediktinerin Hildegard von Bingen geschlagen. „Viriditas“ hieß diese Kraft, die der Natur innewohnt, bei ihr. Grünkraft sei Lebenskraft, so die Mystikerin, und Lebenskraft sei Gotteskraft, Schöpfungskraft und Heilkraft. „Ja, im Mittelalter wurde in den Klöstern auch geheilt, die Klöstergärten waren dafür die Apotheke“, erzählt Reineke.

Und heute? Die Benediktinerinnen-Abtei vom Heiligen Kreuz liegt in Herstelle hoch über der Weser. Anders als erwartet ist es kein altes Gemäuer, sondern moderne Architektur mit Gästehaus. Liefen die Nonnen nicht in ihrer Tracht herum, könnte es auch ein Tagungsort sein oder gar ein Sportleistungszentrum. Doch neben dem Gästehaus lädt ein kleiner „Garten des Wandels“ zu Besinnung und Meditation ein. Ein spiralförmiger Weg aus Holzbohlen windet sich an Farnen vorbei auf eine kleine steinerne Stele zu. Symbol eines Mittelpunkts, vielleicht des eigenen.
Schwester Lucia gehört mit ihren 51 Jahren zu den Jüngeren in der Abtei und ist für Public Relations zuständig. „Wir sind ein lebendes Kloster, keine Museumsstücke“, meint sie lächelnd. Ora et labora, bete und arbeite. Der Klosterladen bietet auch ein selbstgefertigtes Sortiment für Spirituelles an, hergestellt im Kerzenatelier, der Keramikwerkstatt und der Seifenmanufaktur.

Das liturgische Morgengebet Laudes beginnt um zwanzig nach sechs. Das Kirchenschiff ist über Eck gebaut, Kirchgänger und Nonnen können sich nicht sehen. Die hellen Sopranstimmen erklingen aus dem Verborgenen, was ihre meditative Wirkung verstärkt.

Fünfeinhalb Jahre musste sich jede dieser Stimmen prüfen, bevor sie auf Lebenszeit hier aufgenommen wurde. „Aber wer draußen nicht zurecht kommt, wird hier drinnen erst recht nicht zurecht kommen“, mahnt die Ordensfrau. „Man ist mit sich selbst konfrontiert, es gibt nicht die Ablenkungen, die es draußen gibt.“ Stimmt. Die kleine Kommode im Gästezimmer ist tatsächlich nur eine Kommode, auch wenn sie wie eine Mini-Bar aussieht.

Ein Stück nordwestlich des Weserlaufs ragen die schlanken Türme der Abteikirche von Marienmünster aus der Landschaft. Dies ist eine Station auf einem 40 Kilometer langen „Weg der Stille“, unterwegs am geschwungenen „S“ auf grünem Grund zu erkennen. Dieser Weg verläuft weiter über Brenkhausen nach Corvey.

Doch nicht immer ist es in dieser 1128 gegründeten Klosteranlage still. Neben ihrer religiösen Bedeutung als Pilgerstätte in Ruhe und Abgeschiedenheit wird heute in den umgebauten Wirtschaftsgebäuden regelmäßig ein vielfältiges Konzertprogramm angeboten. Der in der einstigen Ackerscheune eingerichtete Konzertsaal ist ein gern genutzter Einspielort für klassische Musik.

Ein besonderes musikalisches Juwel wartet in der Abteikirche von Marienmünster: eine historische Johann-Patroclus-Möller-Orgel aus dem Jahr 1738. „Das sind westfälische Spezialitäten für die Ohren“, schwärmt Hans Hermann Jansen von der Kulturstiftung Marienmünster, bevor er die Orgel erklingen lässt. „ Das ist reine Musik, die will nirgendwo hin. Sie ist einfach da. Die Mitteltöne stimmen, die Bleipfeifen haben eine schöne Wärme. Das ist musikalische Bio-Qualität.“

Ob im Klostergarten auch Bio-Qualität sprießt, ist nicht gewiss. Er ist ja auch noch im Entstehen. Angelegt wird, nach Jahrhunderten unterschieden, der Hortolus, ein Benediktiner-Garten des 9. Jahrhunderts, etwas Barock-Design und, ganz Gegenwart, ein Eckchen für Aromatherapie.

Neben dem „Kloster der Klänge“ steht ein neu eröffnetes multimediales Informationszentrum. „Wir haben uns gefragt, wie man sich am besten auf die Begegnung mit spirituellen Orten vorbereiten kann“, erklärt Jansen. Als Homage an die Benediktiner-Regel „Höre mein Sohn, höre auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens...“ wurde die sich drinnen entfaltende Bilderwelt mit besonderen Klängen untermalt. Heraus kam eine Landkarte, die auf den Boden projiziert wird und die beim Betreten der angezeigten Ortsnamen ein multimediales Bild-Ton-Erlebnis an den Wänden in Gang setzt.

Wer von der Abtei Marienmünster weiter dem „Weg der Stille“ folgen will: Er führt zunächst auf den Hungerberg. Ist nach dem Anstieg auch noch der Aussichtsturm erklommen „ist man dem Himmel besonders nah“, verspricht eine Meditationsstation neben der Hungerbergkapelle. Der Blick reicht aber auch weit in die Landschaft hinaus, bis zum Teutoburger Wald und dem Hermannsdenkmal.

Wieder unten angelangt verläuft der Weg durch eine schöne Allee, vorbei am jüdischen Friedhof und durch kleine Ortschaften, bis am Ende dieses Abschnitts ein historischer Klosterweg zum koptisch-orthodoxen Kloster Brenkhausen führt.

Anba Damian, Generalbischof der Kopten in Deutschland, begrüßt zu Kaffee und Kuchen im Habit des koptisch-orthodoxen Mönchs. Seit 1994 entstand in den Mauern, die über Jahrhunderte Zisterzienserinnen und Benediktinerinnen beherbergten, ein neues religiöses Zentrum. Ägyptische Mönche und ihre Helfer sanierten einen Teil der lange Zeit unbenutzten Gebäude. Heute können Besucher hier viel über die Spiritualität der koptischen Kirche erfahren.

Beim Gespräch über Religion kann angesichts der wiederholten Anschläge in Ägypten die Weltpolitik nicht ausgeklammert bleiben. Und Damian scheut sich nicht, klar Stellung zu beziehen: „Niemand wird als Terrorist geboren, es ist eine Frage der Bildung. Aber es gibt viele Analphabeten und wenn der Imam Hass predigt, wird die Moschee mit Hass im Herzen verlassen.“ Leider sei diese fanatische Haltung in Ägypten sehr ausgeprägt. „Muslime halten uns für verrückt, weil wir an die göttliche Dreieinigkeit glauben, weil einer davon gekreuzigt wurde und weil wir von einer Mutter Gottes sprechen. Deswegen sind wir für sie gottlose Menschen.“

Das Kloster Brenkhausen hat viele Besucher, sowohl christliche Gemeinden, wie auch Gruppen und einzelne Gäste. „Es kommen alle Konfessionen und Altersgruppen, sogar Angehörige der Bundeswehr, Polizeiseelsorger und Leiter von Altenheimen“, sagt Damian. Ohne jeglichen Missionseifer zelebriert er, unentwegt lächelnd, für jeden ägyptische Gastfreundschaft. Schließlich habe Ägypten damals auch der heiligen Familie Asyl gewährt.

Die einst maroden Räume zieren heute farbenprächtige Bilder und Symbole der koptischen Religion. Und es gibt viel bislang Unbekanntes kennenzulernen: von der Gestaltung der Gottesdienste bis zu den Taufzeremonien.
Wer dem Pilgerweg weiter folgt, wird schließlich Schritt für Schrittaus der Stille heraus mitten durch die historische Fachwerkstadt Höxter zum Weserufer geführt. Von dort geht es zum ehemaligen Benediktinerkloster und der Schlossanlage Corvey.

„Es hat zwar 20 Jahre gedauert, aber dann wurde Corvey Weltkulturerbe.“ Schlossherr Viktor Prinz von Ratibor und Corvey spricht mit österreichischem Tonfall. „Und das karolingische Westwerk aus dem 9. Jahrhundert ist das Gesicht des Welterbes“, ergänzt Gästeführer Josef Kowalski. Wer vor dem hoch aufragenden Portal mit seinen zwei Türmen steht, wird rasch verstehen: Heute wie damals ist Corvey mit seiner 1200jährigen Geschichte ein kultureller Leuchtturm.

„Nach der Eroberung Sachsens wollte Karl der Große die Christianisierung in dem neu gewonnene Gebiet durch die Gründung eines Reichsklosters festigen und fördern“, erzählt Kowalski. „Corvey wurde Zentrum für die Weitergabe des Christentums, was wiederum die Grundlage der Europawerdung war.“

Hinter den alten Mauern der Schlossanlage wartet eine reich gefüllte kulturelle Schatzkammer: ein Kreuzgang, eine Äbtegalerie, ein prächtiger Kaisersaal, Prunk- und Wohnräume aus dem 18. Und 19. Jahrhundert sowie eine Bibliothek mit 75.000 Bänden, in der Hoffmann von Fallersleben als Bibliothekar wirkte.

Mit Corvey steht am Ende der Reisedurch das Kulturland im Kreis Höxter ein Ort mit großer Ausstrahlung für Kirche und Gesellschaft. Hier verschmelzen Glauben und Künste. Und wenn man dem Besucherstrom ein wenig ausweicht, findet sich auch hier ein Eckchen, von der aus diese Pracht ganz still zu erleben ist.


MAP

 

NÜTZLICHES

Wildkräuter-Wanderungen mit Gisela Reineke:
Anmeldungen unter Tel. 05272 9329 oder
g.reineke@naturparkfuehrer.org

Weg der Stille: www.weg-der-stille.de

Übernachtungen:

Benediktinerinnenabtei vom Heiligen Kreuz Herstelle
Carolus-Magnus-Str.9
37688 Beverungen-Herstelle
Tel. Gästehaus: 05273/804-114
http://www.abtei-herstelle.de

Hotel Schloß Gehrden in Brakel-Gehrden (auch ein ehemaliges Kloster)
Schlossstraße 6
33034 Brakel-Gehrden
Tel. 05648 96320-0
www.schloss-gehrden.de

Weitere Infos:
www.kulturland.org


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